20120205

Eberhard Tacke geht, Charlotte Pauly kommt

Im letzten Jahr hatte ich über die Ausstellung zu Eberhard Tacke berichtet, einige werden sich erinnern. Ab Jahresanfang 2012 wurde diese Ausstellung entfernt, und schnell wurden neue Gemälde aufgehängt, diesmal von der Malerin Charlotte Pauly (1886-1981).


Paulys Kunstwerke kann man mit gutem Gewissen aufhängen und betrachten, wenngleich ich von der künstlerischen Qualität nicht vollständig überzeugt bin.  Ihr Leben ist es aber durchaus wert, in Erinnerung gerufen zu werden:

Die Malerin und Schriftstellerin Charlotte Elfriede Pauly wurde am 6. Dezember 1886 in Stampen (bei Oels/Olesnica, Schlesien) als zweites von vier Kindern des Großpächters Adolf Ferdinand Pauly (1845-1910) geboren, der 1910 verstarb. Nach Jahren in Danzig und Zoppot besuchte sie nach dem Schulinternat in Bolkenhain (Liegnitz) das Realgymnasium in Breslau und studierte anschließend von 1908 bis 1913 an den Universitäten Breslau, Heidelberg, Berlin und Freiburg die Fächer Zoologie, Literatur, klassische Archäologie und Kunstgeschichte. Unter anderem hörte sie bei dem bekannten Philosophen Ludwig Klages (1872-1956), als dieser im Wintersemester 1934/35 ein Gastsemester in Berlin wahrnahm. Neben ihrem Studium nahm sie auch Gesangsunterricht. 1915 promovierte sie an der Universität Würzburg mit der Arbeit „Der venezianische Lustgarten. Seine Entwicklung und seine Beziehungen zur venezianischen Malerei“ (Straßburg 1916). Für diese Arbeit lernte sie auf drei Studienreisen erstmals die mediterrane Lebenswelt kennen und lieben.
Während der ersten Jahre des Weltkrieges 1914-1918 arbeitete sie neun Monate als Krankenschwester in Oels. 1917 setzte sie, gegen den Willen ihrer Mutter Marie Dorothee Pauly (geb. Neumann, 1867-1951), ihre Studien an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule Weißenhof unter dem Maler Bernhard Pankok (1872-1943) fort. Sie pendelte nun zwischen München, dem Haus einer Studienfreundin im Schwarzwald und Krummhübel, wo sie ein kleines Häuschen samt Atelier für ihr eigenes künstlerisches Schaffen erworben hatte. Es folgten ausgedehnte Reisen durch Spanien und Portugal sowie nach Paris und Nordafrika, die ihr Bruder finanzierte. 1927 arbeitete sie als Malerin unter Daniel Vázquez Diaz (1882-1969) in Madrid, schlug sich als Erzieherin und Hauswirtschaftshilfe in St. Catalina bei Chica in der andalusischen Provinz Jaen durch und unternahm dann weitere Reisen nach Griechenland und nach Beirut, Palästina, Persien bis an das Kaspische Meer und an viele andere Orte. Bis 1932 verbrachte sie über sieben Jahre auf Reisen, auf denen sie zahlreiche Reportagen, Reisebeschreibungen, Gedichte und Übersetzungen anfertigte.
Ihre ersten Ausstellungen fanden 1930, zusammen mit dem Künstler Erwin Merz (1904-1972), in der Getreidehalle Breslau und 1931 bei der Galerie Bernheim in Paris statt. 1933 nahm sie dort an einer Kollektivausstellung teil und hatte eine eigene Ausstellung am Berliner Iberoamerikanischen Institut. Im gleichen Jahr begann ihre Diffamierung als entartete Künstlerin durch die Nationalsozialisten. Pauly wurde aus dem 1903 gegründeten Deutschen Künstlerbund wegen ihrer positiven Darstellung von Zigeunern, wie man damals sagte, ausgeschlossen und erhielt Ausstellungsverbot. Fünfmal wurde die den Nationalsozialisten suspekte unkonventionelle Frau angezeigt. Trotz alledem kam noch 1941 eine Ausstellung ihrer Kunst im Frankfurter Kunstverein zustande. Viel Zeit verbrachte sie mit dem Schriftsteller Gerhart Hauptmann (1862-1946), der sich nach 1933 ganz aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte. Dessen Werk „Die Insel der grossen Mutter oder Das Wunder von Ile des Dames“ (1924) erschien in einer Ausgabe mit Illustrationen Paulys.
Von 1935 bis Kriegsende lebte Pauly in Breslau und in Agnetendorf (Riesengebirge). Noch bis 1943 war sie Mitarbeiterin der Frankfurter Zeitung, in enger Zusammenarbeit mit Alfons Paquet. 1946 zog die Künstlerin nach Berlin-Friedrichshagen und lebte zunächst völlig verarmt in einer kleinen Dachkammer, zusammen mit ihrer Mutter und der Haushälterin Emilie Surek. Heute erinnert dort eine Straße an die Künstlerin. Im Laufe der Jahre sammelte sie, die Zeit ihres Lebens unverheiratet war, einen Freundeskreis meist jüngerer männlicher Bewunderer in der Assmannstraße 34 um sich, darunter auch Wolf Biermann. Diese waren vor allem gebannt von dem Redetalent Paulys. Von Friedrichshagen aus unternahm sie bei jeder Gelegenheit Reisen (u.a. erneut nach England zu einem Quäkerkongress 1958, dann auch in die Schweiz, nach Ungarn zu den Quäkerfreunden Budai und nach Bulgarien). Wenn sie in Berlin war, arbeitete sie häufig mit dem Grafiker Herbert Tucholski (1886-1984) zusammen; auch die Berliner Maler Eberhard Tacke, Walter Müller, Wolfgang Leber (geb. 1936), Dieter und Ingrid Goltzsche-Schwarz (1936-1992) zählten zu ihrem Kollegen- und Freundeskreis, ebenso wie der Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger (1890-1964), der Graphiker Max Uhlig (geb. 1937), die Dresdnerin Charlotte Wahl oder der Kunstkritiker Lothar Lang. In Berlin fand sie zunehmend Anerkennung, Ausstellungen fanden 1976 in der Galerie Berlin und der Galerie am Prater statt. 1977 wurde sie mit der „Johannes-R.-Becher-Medaille“ des DDR-Kulturbundes ausgezeichnet.
Im syrischen Batumi hatte Pauly 1932 mit David Buxton den ersten Quäker kennengelernt. 1938 reiste sie nach England, und intensivierte dort ihre Beziehungen zu den Quäkern. Mit den Gebrüdern Buxton soll sie Möglichkeiten des Widerstandes und Abwendung der Kriegsgefahr besprochen haben. 1939 trat sie der „Religiösen Gesellschaft der Freunde (Quäker)“ bei und gehörte der Berliner Gruppe an. In Zusammenarbeit mit den Quäkern verhalf sie jüdischen Kindern aus Schlesien zur Flucht ins Ausland. Besonders befreundet war sie mit der Familie Catchpool, die Pauly gelegentlich in Friedrichshagen besuchte. Hat Charlotte Pauly zu Anfang der 1950er Jahre bei den Berliner Quäkern noch Vorträge gehalten, so nahm sie an den Andachten später jedoch nur noch sehr unregelmäßig teil, obwohl ihr die Quäkerversammlung ein Ort der Ruhe und Entspannung nach künstlerischem Schaffen war. Denn wegen ihrer Ablehnung der Großstadt fuhr sie nur ungern nach Berlin-Mitte, wo die Versammlungen stattfanden. Da Pauly gegen jede Form von Technik eingestellt war und scharf gegen moderne Entwicklungen und deren Folge, die Entwurzelung des Menschen, wetterte, fand sie im Quäkertum eine ihr gemäße Form von Einfachheit der Lebensführung vor, die sie auf ihre Weise praktizierte. Sie übernahm bei den Quäkern keine Ämter, half jedoch, wo sie konnte, etwa, als sie eine von der Staatssicherheit der DDR gesuchte Quäkerin einige Tage versteckt hielt, obwohl sie selbst von der Staatssicherheit beobachtet wurde. Zeit ihres Lebens blieb Pauly gleichzeitig Mitglied in der Evangelischen Kirche. Sie verstarb, nachdem ihr ein evangelischer Pastor das letzte Abendmahl in ihrem Hause gereicht hatte, am 24. März 1981 in Berlin. Am 3. April wurde sie in Berlin-Friedrichshagen beerdigt.
Lag zunächst der künstlerische Schwerpunkt von Charlotte Pauly auf dem Schriftstellerischen, so wurden später Ölgemälde, Aquarelle und Druckgrafiken wichtiger. Viele Motive ihres künstlerischen Schaffens schöpfte Pauly aus ihren Reiseerinnerungen. Überwiegend handelt es sich um figürliche bzw. gegenständliche Arbeiten. Von ihren Büchern sind die Autobiographie „Die glückliche Halbinsel“ (Straßburg 1928) und der verschlüsselte Antikriegsroman „Der Tiger und die Harfe“ (1944) hervorzuheben. In ihren Gemälden und Zeichnungen (Bleistift, Kreide, Kohle) ist das Südländische unverkennbar, ihre Motive erzählen in kräftigen Farben Geschichten des Orients, Afrikas und der mediterranen Welt.