20121125

Geliebt und verachtet: Ludwig Seebohm, Quäker-Pionier, Siedlungsgründer, Patriarch

Es ist an der Zeit, einmal das Leben von Ludwig Seebohm vorzustellen, das mehr als ungewöhnlich war. Als Gründer einer radikalpietistisch geprägten Siedlung ist er neben Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700-1760), dem Gründer von Herrnhut und Herrnhaag, Elias Eller (1690-1750), dem Gründer von Ronsdorf, und Georg Rapp (1757-1847), dem Gründer von Harmony (Pennsylvanien), zu stellen, auch wenn er innerhalb seiner Gemeinschaft eine nicht vergleichbar dominierende Position eingenommen hatte. Die Nachwelt hat Seebohm schnell vergessen. Viele seiner Nachkommen emigrierten nach England oder Amerika, wo sie innerhalb großer Quäkergemeinschaften aufgehoben waren. Die deutsche Quäkergemeinde konnte sich in Friedensthal nicht halten und löste sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf. Die Siedlung verlor durch Umbauten, Neubauten und einen verheerenden Brand ihr ursprüngliches Aussehen und wurde der Stadt Bad Pyrmont eingemeindet. Das Haus der Familie Ludwig Seebohm ist in modernisierter Form erhalten und vermittelt noch heute einen gewissen Eindruck von der ursprünglichen Konzeption der Siedlung.


In Seebohms Leben ist Licht und Schatten gleichermaßen vorzufinden. Er setzte sich unermüdlich für seine Gemeinde beim Fürsten ein, war sich jedoch auch seiner Verdienste sehr bewusst. Sein Talent war die Organisation und Zusammenführung von Menschen und Ideen. Nicht in allem verhielt er sich beständig, manche seiner Unternehmungen endeten so schnell wie sie angefangen hatten. Im persönlichen Umgang achtete er sorgsam auf Grundsätze, deren Interpretation er sich vorbehielt. In Kleinigkeiten konnte er mitunter recht pedantisch sein, wohingegen er sich und andere zu großen und risikoreichen Projekten zu begeistern wusste. Neben der Begeisterungsfähigkeit hatte er auch einen Blick für das Realistische und Machbare.

Höhere Quäker-Mathematik (Teil 1)

Am Fachbereich Informatik der Universität wurde zum Wintersemester 2012/2013 folgende Rechenaufgabe gestellt:

"Bekanntermaßen mögen Amerikaner Football, sofern man annehmen kann, dass sie keine Pazifisten sind. Weiterhin wissen wir, dass Quäker, von denen man annehmen kann, dass sie nicht auch Republikaner sind, pazifistisch eingestellt sind. Da Republikaner als politische Partei nur in Amerika aktiv sind, können wir folgern, dass Republikaner auch Amerikaner sind. Nixon ist ein Republikaner und außerdem ein Quäker.

1. Modellieren Sie obiges Wissen als normales logisches Programm P.

2. Berechnen Sie alle stabilen Modelle von P und begründen Sie, warum es keine weiteren gibt."

Also, wer das locker lösen kann, vielleicht noch mündlich, vor dem muss man den (Quäker)Hut ziehen. Übrigens, nächstes Jahr ist Nixon-Jubiläum, auch die US-amerikanischen Quäker werden sich zu Wort melden.

Pollatz-Forschungs-Fortschritte: Nach Dresden ist vor Dresden

Nach nun einer guten Woche Aktenstaub in verschiedensten Archiven und nach anstrengenden Ortsterminen auf entlegenen Grundstücken bin ich jetzt froh und dankbar, wieder eine Reise nach Dresden unternommen zu haben. Was gibt es an neuen Erkenntnissen und neuen Einsichten zu den Quäker-Reformpädagogen Manfred und Lili Pollatz?

20121118

A. Benezets "Kurzer Bericht" über die Quäker (18. Jh.)

Wer Lust und Zeit hat, kann jetzt folgenden Klassiker in deutscher Sprache online lesen:

Benezet, Antony: Kurzer Bericht von den Leuten die man Quäker nennet, ihrem Ursprung, ihren Religionsgründen, und von ihrer Niederlassung in America. Meistentheils aus verschiedenen Auto­res zusammen gezogen, zum Unterricht aller aufrichtigen Nachforscher und insonderheit für Aus­länder.


Es handelt sich aber nicht um die Erstauflage (Philadelphia 1783), sondern um die Neuauflage aus dem Jahre 1791.

Sozial-kulturelle Arbeit: Die Ursprünge der Nachbarschaftsheim-Idee

Ein kurzer Hinweis zu den Nachbarschaftshäusern, für die sich die angloamerikanischen Quäker besonders einsetzten, brachte jetzt Echo-Online. Ein solches Haus hat es auch in Kleinstädten wie Darmstadt gegeben.

Thomas Kelly: ein Quäker - und Mystiker?

Am Mittwoch, den 28. November 2012, gibt es bei den Berliner Quäkern einen Gesprächsabend (bzw. wohl eher Leseabend) zu dem US-amerikanischen Quäker Thomas Kelly. Er zählt, mit Rufus Jones, zu den Vertretern der "Quäkermystik", die vor allem in Europa viele Anhänger hat, im evangelikalen Weltquäkertum aber kaum eine Rolle spielt. Es ist daher an der Zeit, sich etwas ausführlicher mit Thomas Kelly zu beschäftigen. Er hat zwar viel zu Mystik geschrieben, aber ob man ihn auch als solchen sehen sollte, vermag ich nicht zu entscheiden. Wer war Kelly eigentlich gewesen?

 Th. Kelly 1937.

Thomas Kelly wurde 1893 in einer konservativen Quäkerfamilie auf einer Farm in Ohio geboren. Sein Vater war Carlton W. Kelly (gest. 1897), seine Mutter Madora E. (geb. Kersey). Nach dem Tod des Vaters zog die Mutter 1903 mit den zwei Kindern (Thomas und Mary) nach Wilmington. 1913 graduierte Kelly am Wilmington College mit einem Schwerpunkt in Chemie (B.D.). Er ging anschließend 1913/14 an das Haverford College, wo er maßgeblich von Rufus Jones (1863-1948) und seiner Interpretation des Quäkertums als mystische Bewegung beeinflusst wurde.

Mahnmal für die Opfer der Sinti und Roma in Berlin

Nach langem hin und her wurde nun endlich in Berlin das Mahnmal für die Opfer der Sinti und Roma eingeweiht. Das Denkmal befindet sich in Berlin direkt gegenüber des Reichstags. So groß die Offenheit der Quäker für Juden ist, so gering ist leider das Interesse an Sinti und Roma. Selbst in englischen Publikationen ist mir eigentlich nichts über dieses Thema bekannt, obwohl es nachweislich „Zigeuner“ unter den Mitgliedern gegeben hat, wenn auch nicht viele. Allerdings wurde jetzt an der Stanford-University eine Dissertation zu diesem spannenden Thema begonnen.
So wunderte es mich eigentlich nicht, dass ich niemanden von den Quäkern bei der Einweihungsfeier angetroffen habe. Erfreulich ist aber ein kleines Detail, dass ich zufällig entdeckt habe: direkt vor dem Bassin, bereits vom Wasser umflossen, ist tatsächlich das Wort „Stille“ zu finden. Es ist schwer zu finden, und noch schwerer mit der Kamera einzufangen:


Blog der Quäker-Bibliothek aus Großbritannien: Quaker Strongromms

Seit Mai diesen Jahres bringt der Blog der englischen Quäkerbibliothek "Friends House" Meldungen zur Quäkergeschichte, zu Quäkerbüchern und zur Theologie. Der etwas eigenartige Name lautet "Quaker Strongromms" (also nicht Strangerooms). Schnell wurde die Seite eine der wichtigsten und meistbenutzten Adressen, wenn man sich über Quäkergeschichte informieren möchte.


Unter den frühen Postings findet man Nachrichten zu den Tagebüchern von Elizabeth Fry, zu Kriegsdienstverweigerern und immer wieder zu Archivalien bezüglich des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Vor allem sind die Meldungen professionell gemacht - und zeugen von der hervorragenden Kenntnis der Quäkergeschichte, wie man sie wohl nur haben kann, wenn man die Quellen gleich vor Ort hat.

20121112

Wilhelm Reich und Ilse Ollendorff-Reich

"Wilhelm Reich - A Personal Biography" lautet der Titel einer neuen Biographie zu Wilhelm Reich, eines Psychiaters, Psychoanalytikers, Sexualforschers und Soziologen aus Österreich. Mehr dazu in einem eigenen Beitrag von Alexander Lowen, der weitaus mehr bietet als eine gewöhnliche Buchbesprechung.
Was hier interessiert, ist vor allem Ilse Ollendorff-Reich, die das Werk verfasst hat. Sie stammte aus Breslau, überlebte nach dem Ersten Weltkrieg Dank der Quäkerspeisung und schloss sich nach ihrer Emigration 1939 in New York den Quäkern an.

Interview mit Joseph Gerson, Quäker-Friedensaktivist

Der US-Friedensaktivist Joseph Gerson übt Kritik am US-Wahlsystem und spricht über die (angebliche) Erschöpfung der Friedensbewegung, nachzulesen in einem längeren Interview des Neuen Deutschland. Gerson gehört zu den wichtigsten Stimmen der US-Friedensbewegung. Er ist auch Abrüstungskoordinator der Quäker-Organisation American Friends Service Comittee.

Quäker des Ostens

„Quäker des Ostens“ soll es einmal heißen, mein Band über die Quäker im einstigen sozialistischen Deutschland. Es wird zwar noch einiges Wasser die Spree hinabfließen, bis alle Arbeiten abgeschlossen sind, doch das Inhaltsverzeichnis soll schon etwas Vorfreude wecken. Bislang gibt es noch keine Untersuchung über dieses Thema – ich kann aus Erfahrung sagen, es ist kein Langweiler! Vielleicht findet sich ja doch noch ein mutiger Student, der hierüber eine soziologische, religionswissenschaftliche oder theologische Dissertation schreiben möchte. Akten sind da in Hülle und Fülle, und noch leben sie, die Zeitzeugen.

So habe ich es noch kennen gelernt: das Quäkerbüro old-fashioned, aber urgemütlich, zu weniger gemütlichen Zeiten der DDR

Meditation in Paderborn

Meditation hat in der Kirche eine lange Tradition. In der christlichen Mystik meint Meditation das hellwache Da-Sein in der Gegenwart Gottes. Im Unterschied zur Besinnung und Betrachtung wird bei der kontemplativen Meditation nicht „nachgedacht“. Vielmehr soll der Meditierende von allen Gedanken und Vorstellungen leer werden, um offen zu sein für das Wirken Gottes.


So lädt die Gemeinde Paderborn zu einer „Christlichen Meditation“ ein, die dort jeden Mittwoch von 12:15 bis 12:45 stattfindet. Ort: Westchor, unter der Orgel.

20121104

Otto Tausig, ein Kurzzeitquäker aus Wien

Eine liebevoll gestaltete Würdigung des Schauspielers und Kabarettisten Otto Tausig verfasste jetzt kürzlich Barbara Rett. In dem ausführlichen Beitrag, der v.a. durch gekonnte Fotos besticht, erfährt man auch, dass Otto Tausig kurze Zeit Quäker gewesen war. Das war wohl in einem Internierungslager in englischer Kriegsgefangenschaft, wo ihn vor allem die Behandlung durch die ehemaligen "Feinde" tief beeindruckte. Ob Tausig wirklich Mitglied beim damaligen London Yearly Meeting gewesen war, oder bei einer anderen Quäkerversammlung, kann ich nicht bestätigen, aber möglich es durchaus.

20121103

Mitbegründerin des Gruppengespräches: Magda Kelber

Als Sozialpädagoge liegt mir Magda Kelber besonders am Herzen, sie ist eine der großartigen Frauen, die in der DJV kaum jemand kennt oder sich für ihr Wirken interessiert. Dabei haben Tausende ihren Beruf durch Magda Kelber neu verstehen gelernt. Wie es der Zufall will, kam ihr Nachlass über abenteuerliche Umstände nach Berlin und ist heute im Deutschen Zentralinstitut für Soziale Fragen aufbewahrt. Im Laufe der Jahre habe ich das dortige Material für folgende kleine Würdigung aufgearbeitet, die jetzt erschienen ist:

Magda Kelber (1908-1987), in: Fränkische Lebensbilder, 23, 2012, S. 227-240.


Uwe Kurt Stade: Separatisten in Hohenrode

Dem Heimatforscher Uwe Kurt Stade verdanke ich den Hinweis und Auszüge aus der Chronik von Hohenrode/Rinteln, die wichtige Informationen zur Vorgeschichte des Quäkertums enthält. Ich kenne diese Chronik gut, bewerte die enthaltenen Schilderungen aber etwas vorsichtiger. So leid es mir tut: Quäker hat es in Hohenrode damals nicht gegeben, aber fromme Menschen, die ihnen durchaus ähnlich waren und die später in Bad Pyrmont/Friedensthal zu den Quäkern gekommen sind. Der Artikel "Sie ziehen vor der Obrigkeit nicht den Hut und verweigern Zahlungen" ist für mich Anlass, hier einen kurzen Abschnitt aus meiner "Deutschen Quäkergeschichte" (in Vorbereitung) beizusteuern:

Hohenroder Separatisten – aber (noch) keine Quäker


1640 wurde die Grafschaft Schaumburg zwischen den Grafen zur Lippe (nun Grafschaft Schaumburg-Lippe) und den Landgrafen von Hessen-Kassel (nun Grafschaft Schaumburg) aufgeteilt. Als Folge wurde Rinteln 1651 hessische Garnisonsstadt und 1665 bis 1680 zu einer Festung ausgebaut. Seit 1785 regierte hier der Landgraf Wilhelm IX., der spätere Kurfürst. Bereits seit Anfang der 1760er Jahre war er unter der Vormundschaft der Landgräfin Maria in der Grafschaft Hanau Regent. Wilhelm war allem Neuen, Fremden gegenüber misstrauisch und witterte stets Umsturzpläne. Er hatte vor allem gegen aufklärerische Gedanken erhebliche Vorbehalte und verbot in diesem Zusammenhang 1793 auf seinem Territorium selbst die Freimaurer. Separatistische Bestrebungen wurden scharf bekämpft, die angeblichen oder tatsächlichen „Rädelsführer“ meist in die angrenzenden Territorien ausgewiesen, wo die dortigen Herrscher sehen mussten, wie mit ihnen klar zu kommen war. Ausgerechnet hier, im kleinen, abgelegenen Rinteln, finden sich nun die Wurzeln der späteren Quäkergemeinden.

Inhalt Quäker-Heft Nr. 3, 86. Jg., 2012


-Julian Clark: Gendergerechte Sprache
-Jochen Dudek: in memoriam Walter Wink (1935-2011)
-Gottfried Lischke: „Doppelte Wahrheit“ in der Religions- und Geistesgeschichte
-Ernst Dahme: Gedanken zum Quäker-Sein
-Wilhelm Prasse: Gleichwürdigkeit
-Martin Januschek: zum Begriff „Concern“ (Anliegen)
-Simon Mangels: Eurostory Paris 2012
-Martina Weitsch: EU-Konsultationen / Quäker-Lobbyarbeit in der EU
-Annerose Schulz: zur Bezirksversammlung Rhein-Ruhr am 18.3.2012
-Tobias Schneegans: Rückblick Stille-Retrat

John Greenleaf Whittier: Poetus Quakerianus

An der Düsseldorfer Universität wird im Fach Amerikanistik an einer Dissertation zu dem amerikanischen Quäkerpoeten John Greenleaf Whittier gearbeitet. Das war für mich ein Anlass, mich wieder einmal mit seiner wechselvollen Lebensgeschichte zu beschäftigen:


John Greenleaf Whittier zählt zu den bedeutenden amerikanischen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts, er ist der gewichtigste Literat, den das Quäkertum bislang hervorgebracht hat. Geboren wurde er am 17. Dezember 1807 in Haverhill (Massachusetts) als Sohn des Farmers John (gest. 1832) und Abigail (geb. Hussey) Whittier und wuchs mit zwei Schwestern und einem Bruder auf. In seiner Kindheit las er die gesamte Bibliothek seines Vaters mehrfach durch - insgesamt sechs Bücher über das Quäkertum. Schon während der Schulzeit in der District School veröffentlichte Whittier 1826 in der Free Press in Newburyport sein erstes Gedicht. Seine Ausbildung schloss er 1827/28 an der Haverhill Academy ab. Whittier war stark am politischen Leben interessiert, konnte sich aber wegen seiner gesundheitlichen Schwächen nur begrenzt engagieren. Er schlug sich zunächst als Schuhmacher und Hilfslehrer durchs Leben.